Endlich juristische Klarheit!
Am 18.06.2009 hat der Bundestag nach mehrjähriger Diskussion endlich ein Gesetz zu den Patientenverfügungen beschlossen. Bis zuletzt war unklar geblieben, ob eine der Vorlagen überhaupt eine Mehrheit des Abgeordnetenhauses erzielen würde. Wie es beim Bundestag in schwierigen ethischen oder rechtlichen Fragen gute Tradition ist, war die Fraktionsdisziplin aufgehoben worden, so dass quer durch alle Partei- oder Fraktionsgrenzen hinweg die Vorschläge zur Abstimmung gebracht werden konnten.
Wie sensibel das zu entscheidende Thema war, zeigt auch der Umstand, dass nicht wie sonst die Geschäftsführer der Fraktionen im Vorfeld die Reihenfolge der Abstimmung der Anträge beschließen konnten; da der letzte zur Abstimmung gebrachte Vorschlag erfahrungsgemäß die höchste Chance auf Zustimmung hat, mussten sämtliche Mitglieder des Bundestages in einem separaten Votum vorab die Abstimmungsmodalitäten klären.
Das Recht auf Selbstbestimmung hat sich durchgesetzt!
Schließlich hat sich die Gesetzesinitiative von den Abgeordneten Joachim Stünker (SPD) und Michael Kauch (FDP) u.v.a. durchgesetzt. Er wurde von 317 der 612 Abgeordneten angenommen. Im Gegensatz zu den anderen Gesetzentwürfen betont dieser das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und spricht schriftlichen Patientenverfügungen uneingeschränkte Wirksamkeit zu, selbst wenn keine zum Tode führende irreversible Grun-derkrankung vorliegt.
Vorsorgebevollmächtigte oder gesetzliche Betreuer können sich in Zukunft auf die neue gesetzliche Klarstellung gegenüber den Ärzten berufen und – soweit die Patientenverfügung ansonsten widerspruchsfrei auf die Behandlungssituation passt – die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen selbst dann durchsetzen, wenn der eigentli-che Sterbeprozess noch nicht eingesetzt hat bzw. keine tödliche Grunderkrankung vorliegt.
In der Vergangenheit war genau dieser Punkt besonders umstritten bzw. nicht klar und rechtlich uneindeutig geregelt.
Die Neuregelungen im Einzelnen
- Das Rechtsinstitut Patientenverfügung wird im Betreuungsrecht erstmals verankert und als Wirksamkeitsvoraussetzung eingeführt, dass Patientenverfügungen zukünftig immer schriftlich vorliegen müssen.
- Die Aufgaben eines Betreuers oder Bevollmächtigten beim Umgang mit einer Patientenverfügung und bei Feststellung des Patientenwillens werden gesetzlich erstmals geregelt und dabei klar-gestellt, dass der Wille des Betroffenen unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung zu beachten ist.
- Festlegungen in einer Patientenverfügung, die auf eine verbotene Tötung auf Verlangen gerichtet sind, bleiben unwirksam.
- Besonders schwerwiegende Entscheidungen eines Betreuers oder Bevollmächtigten über die Einwilligung, Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen bedürfen bei Zweifeln über den Patientenwillen der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts.
- Der Schutz des Betroffenen wird durch verfahrensrechtliche Regelungen sichergestellt.
Ergeben sich für bereits bestehende Patientenverfügungen aus dem Gesetz Konsequenzen?
Bereits schriftlich verfasste Patientenverfügungen behalten ihre Gültigkeit bzw. sollten sie Verfügungen enthalten, die Wünsche zu medizinischen Behandlungen unabhängig von einer tödlichen Grunderkrankung formulieren, erhalten diese Formulierungen nun gewissermaßen automatisch eindeutige Rechtsverbindlichkeit.
Dennoch sollte der aktuelle Anlass der Verabschiedung des Patientenverfügungsgesetzes dazu genutzt werden, vorhandene Patientenverfügungen auf ihre Aktualität und vor allem auf widerspruchsfreie Formulierungen hin zu überprüfen.
Beachten Sie in diesem Zusammenhang bitte auch unsere Informationsveranstaltungen sowie unser Angebot zu Hilfestellungen auf der letzten Seite.
Auch in Zukunft hängt die Wirksamkeit einer Patientenverfügung nämlich maßgeblich davon ab, ob sie auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation passt und widerspruchsfrei formuliert ist. In jedem Fall sollte eine vorhandene Patientenverfügung zunächst rechtlich und dann auch – so Ihr Hausarzt sich dafür Zeit nehmen kann – auch mit Ihrem Vertrauensarzt durchgesprochen werden.
Stichworte zur inhaltlichen Gestaltung einer Patientenverfügung
- Persönliche Wertvorstellungen, Einstellung zu Tod und Sterben
- Eigene Ansichten über ein Leben mit Beeinträchtigungen
- Koma bzw. Nichtansprechbarkeit über längere Zeit
- Behandlungsverzicht in letzter Lebensphase / Flüssigkeitsversorgung
- Künstliche Ernährung per Magensonde
- Schmerzbehandlung
- Indirekte Hilfe zum Sterben
- Nichtbehandlung von Komplikationen
- Notfallrettung
- Intensivmedizinische Behandlung
- Verbindlichkeit der Patientenverfügung
- Organspendeerklärung oder Widerspruch
Daneben sollte zur wirksamen Durchsetzung des Patientenwillens eine
- Vorsorgevollmacht
erteilt werden.
Hierzu sollte an folgendes gedacht werden:
- Vertrauensperson(en)
- Inkrafttreten
- Vollmachtsumfang
Vervollständigt werden Vorsorgeverfügungen durch die
- Betreuungsverfügung
Die Änderungen im Gesetzeswortlaut
In das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) werden u.a. folgende Änderungen eingefügt:
„§ 1901 a
Patientenverfügung
(1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden.
(2) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die ak-tuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willens des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Abs. 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten.
(3) Die Abs. 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten.
(4) Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden. Die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung darf nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden.
(5) Die Abs. 1 bis 3 gelten für Bevollmächtigte entsprechend.“
„§ 1901 b
Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens
(1) Der behandelnde Arzt prüft, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Er und der Betreuer erörtern diese Maßnahme unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die nach § 1901 a zu tref-fende Entscheidung.
(2) Bei der Feststellung des Patientenwillens nach § 1901 a Abs. 1 oder der Behandlungswünsche oder des mutmaßlichen Willens nach § 1901 a Abs. 2 soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist.
(3) Die Abs. 1 und 2 gelten für Bevollmächtigte entsprechend.“
„§ 1904
Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen
(1) Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Ohne die Genehmigung darf die Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist.
(2) Die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet.
(3) Die Genehmigung nach den Abs. 1 und 2 ist zu erteilen, wenn die Einwilligung, die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht.
(4) Eine Genehmigung nach Absatz 1 und 2 ist nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a festgestellten Willen des Betreuten entspricht.
(5) Die Abs. 1 bis 4 gelten auch für einen Bevollmächtigten. Er kann in eine der in Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung widerrufen, wenn die Vollmacht diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist.“
Schließlich wird das ebenfalls neue Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geändert. In diesem Gesetz geht es im Wesentlichen um Einzelheiten des Vorgehens, wenn Meinungsverschiedenheiten zwischen Arzt und Betreuer / Vorsorgebevollmächtigtem zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bestehen.
Gerne überprüfen wir Ihre vorhandene Patientenverfügung incl. Vorsorgevollmacht / Generalvollmacht inhaltlich vollständig auf widerspruchsfreie Formulierungen, Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit aufgrund des neuen Gesetzes zur Patientenverfügung. Im Rahmen einer ausführlichen Besprechung werden wir Ihnen das Ergebnis vorstellen und ggf. Änderungsvorschläge anregen.
Unser Sekretariat stimmt gerne mit Ihnen unter Tel.: 0761/216868-0 einen Termin ab.