OLG München stärkt Einsichtsrechte von Pflichtteils-/ergänzungsberechtigten
Es kommt immer wieder vor, dass vor Eintritt des Erbfalles Immobilien verschenkt wurden und die hinterbliebenen Kinder oder Ehegatten sich fragen, ob sie nicht auch aus den Werten der verschenkten Immobilien ihren Pflichtteil bzw. Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen können.
In der Praxis ist es in diesen Fällen nicht immer leicht, überhaupt Informationen zu Immobilienübertragung vor Eintritt des Erbfalles zu erlangen. Zwar haben Pflichtteilsberechtigte gegen den Erben diesbezüglich umfangreiche Auskunftsansprüche – ob die gemachten Angaben zutreffen, lässt sich jedoch nur durch eine eigene Einsichtnahme ins Grundbuch überprüfen. Oft wissen die Erben auch schlicht nichts von Immobilienschenkungen des Erblassers – oder geben dies vor…
In der Vergangenheit ist es immer wieder vorgekommen, dass Grundbuchämter Einsichtsgesuche von Pflichtteilsberechtigten abgelehnt haben, weil sie dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der neuen Eigentümer (Geheimnisschutz) Vorrang einräumten.
Mittlerweile liegen jedoch eine ganze Reihe von Gerichtsentscheidungen vor, die sowohl Pflichtteilsberechtigten als auch Miterben, die Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend machen wollen, Einsicht in Grundbücher gestatten, auch wenn mittlerweile ganz andere Eigentümer im Grundbuch vermerkt sind.
§ 12 Abs. 1 Satz 1 Grundbuchordnung sieht vor, dass derjenige in das Grundbuch Einsicht nehmen darf, der ein so genanntes „berechtigtes Interesse“ geltend macht.
Auch ein bloß tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches Interesse kann das Recht auf Einsicht in ein Grundbuch begründen (Kammergericht Berlin, NJW 2002, 223). So hat das Kammergericht Berlin ausdrücklich anerkannt, dass ein Pflichtteilsberechtigter nach Eintritt des Erbfalles ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht zur Regelung der erbrechtlichen Ansprüche und Geltendmachung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen hat (Kammergericht Berlin, ZEV 2004, 338)
In einer aktuellen Entscheidung des Oberlandesgerichts München (Beschluss vom 7. November 2012 , Az. 34 Wx 360/12) wurde nun auch klargestellt, dass nicht nur ein vollständig enterbter Pflichtteilsberechtigter ein solches Einsichtsrechts hat, sondern auch Pflichtteilsergänzungsberechtigte. Der Unterschied zwischen Pflichtteilsberechtigten und Pflichtteilsergänzungsberechtigten besteht darin, dass der Pflichtteilsberechtigte völlig von der Erbfolge ausgeschlossen, also vollständig enterbt ist. Der Pflichtteilsergänzungsberechtigte hingegen muss nicht vollständig enterbt sein, sondern kann auch Miterbe geworden sein, allerdings erhält er aufgrund der Immobilienübertragungen vor dem Erbfall als Miterbe nach dem Erbfall wertmäßig weniger, als er hypothetisch erhalten hätte, wären die Immobilienschenkung nicht erfolgt und er vollständig enterbt worden wäre.
Mit anderen Worten: Hat der Erblasser vor seinem Tod den Nachlass durch Schenkungen gemindert, steht einem Pflichtteilsberechtigten auch dann ein Ergänzungsanspruch zu, wenn er gesetzlicher oder testamentarischer (Mit-)Erbe geworden ist; Voraussetzung ist allein, dass der Wert des tatsächlich hinterlassenen Nachlasses geringer ist als der Wert der Hälfte des gesetzlichen Erbteils unter Hinzurechnung der verschenkten Werte.
Das Oberlandesgericht München entschied nun, dass der möglicherweise pflichtteilsergänzungsberechtigte Miterbe allein schon durch Vorlage des Erbscheines sein „berechtigtes Interesse“ im Sinne des § 12 Abs. 1 Grundbuchordnung hinreichend dargetan habe. Der Betroffene müsse nicht (auch) darlegen, dass der Wert der Hinterlassenschaft tatsächlich hinter dem Pflichtteilswert zurückbleibe. Auch stellte das Gericht klar, dass das Grundbuchamt die beantragte Einsicht in zeitlicher Hinsicht nicht einschränken dürfe, also gerade nicht Einsicht in solche Übertragungsakte verweigern dürfte, die länger als 10 Jahre zurücklägen. Die Entscheidung ist ausdrücklich zu begrüßen, weil der Betroffene zu dem frühen Zeitpunkt seines Grundbucheinsichtsgesuches ja noch gar nicht weiß, ob, wann, an wen und in welchem Umfang Immobilien verschenkt worden sind.
Der Beschluss des Oberlandesgerichtes München bestätigt eine Reihe von Entscheidungen, die das Einsichtsrecht von (Mit-) Erben bzw. Pflichtteilsberechtigten ins Grundbuch neuer Eigentümer gestatten. Immer dann, wenn Anhaltspunkte auf Immobilienschenkungen vor dem Erbfall – an wen auch immer – bestehen, sollten umfangreiche Anfragen an die betreffenden Grundbuchämter gerichtet werden, damit geklärt werden kann, ob ggf. Pflichtteilsergänzungsansprüche realisiert werden können.