Prof. Clemens Pustejovsky

Prof. Clemens Pustejovsky

  • Rechtsanwalt
  • zert. Mediator

Das Bundesverfassungsgericht hat am 2. März 2010 in einer wegweisenden Entscheidung (Az. 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08) die gesetz­liche Regelung zur sog. Vorratsdaten­speicherung für verfassungswidrig erklärt und erneut wichtige Vorgaben zum Datenschutz formuliert.

Nach den Neuregelungen in §§ 113 a, 113 b TKG waren Telekommunikationsdiensteanbieter verpflichtet worden, praktisch sämtliche Verkehrsdaten von Telefondiensten (Festnetz, Mobilfunk, Fax, SMS, MMS), E-mail-Diensten und Internetdiensten vorsorglich und anlasslos für einen Zeitraum von sechs Monaten zu speichern. Die Speicherungspflicht erstreckt sich im Wesentlichen auf alle Angaben, die erforderlich sind, um zu rekonstruieren, wer wann wie lange mit wem und von wo aus kommuniziert hat. Nicht zu speichern war demgegenüber der Inhalt der Kommunikation.

Diese Pflichten betrafen auch Arbeitgeber, die gegenüber ihren Beschäftigten als Telekommunikations­anbieter aufgetreten waren, ihnen also den Zugang zu Telefon, Internet oder Email zur privaten Nutzung ermöglicht hatten.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vorrats­datenspeicherung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Telekommunikationsfreiheit nach Art 10 Abs. 1 GG gesehen und dies unter anderem wie folgt begründet:

  • Bei der Vorratsdatenspeicherung handelt es sich um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt. Auch wenn sich die Speicherung nicht auf die Kommu­nikationsinhalte erstreckt, lassen sich aus diesen Daten bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltli­che Rückschlüsse ziehen. Adressaten, Daten, Uhrzeit und Ort von Telefongesprächen erlauben in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen.
  • Je nach Nutzung der Telekommunikation kann eine solche Speicherung die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch jeden Bürgers ermöglichen. Auch steigt das Risiko von Bürgern, weiteren Ermittlungen ausgesetzt zu werden, ohne selbst hierzu Anlass gegeben zu haben.
  • Darüber hinaus verschärfen die Missbrauchs­möglichkeiten, die mit einer solchen Datensammlung verbunden sind, deren belastende Wirkung.

Das Bundesverfassungsgericht formulierte auch Maßstäbe, unter denen eine Vorratsdatenspeicherung zulässig sein könnte:

  • Erforderlich ist eine gesetzliche Regelung zu Mindeststandards an Datensicherheit.
  • Angesichts des Gewichts der Datenspeicherung kommt eine Verwendung der Daten nur zum Schutz von überragend wichtigen Rechtsgüter­n in Betracht. Für die Strafverfolgung folgt hieraus, dass ein Abruf der Daten zumindest den begründeten Verdacht einer schwerwiegenden Straftat voraussetzt.
  • Weiter erforderlich ist die Regelung eines grund­sätzlichen Übermittlungsverbot besonders sensibler Anschlüsse. Zu denken ist hier etwa an Verbin­dungen zu Anschlüssen von Beratungsstellen für seelische oder soziale Notlagen und Personen, die Verschwiegenheitsverpflichtungen unterliegen.
  • Der Gesetzgeber muss die diffuse Bedrohlichkeit einer Datenspeicherung und -verwendung durch wirksame Transparenzregeln auffangen. Eine heimliche Verwendung der Daten darf nur vorgesehen werden, wenn sie im Einzelfall erforderlich und richterlich angeordnet ist.
  • Eine Übermittlung und Nutzung der gespeicherten Daten ist unter Richtervorbehalt zu stellen. Sofern ein Betroffener vor Durchführung der Maßnahme keine Gelegenheit hatte, sich vor den Gerichten gegen die Verwendung seiner Daten zur Wehr zu setzen, muss eine nachträglich gerichtliche Kontrolle vorgesehen sein.
  • Eine verhältnismäßige Ausgestaltung setzt weiterhin wirksame Sanktionen bei Rechtsverletzungen voraus.

Weniger strenge verfassungsrechtliche Maßgaben gel­ten nur für behördliche Auskunftsansprüchen gegen­über den Diensteanbietern hinsichtlich der Anschluss­inhaber bestimmter, bereits bekannter IP-Adressen.

Im Ergebnis wurden die gesetzlichen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt. Demnach sind alle auf dieser gesetzlichen Grundlage gespeicherten Daten unverzüglich zu löschen.